Matamacho

"Samstags und Sonntags Frühstück bis 18 Uhr."

Das entspricht meiner südamerikanischen Seele. Und Timo hasst genaue Uhrzeiten bei einer Verabredung sowieso. Er nennt das dann "Spontaneität".

Also am Samstag. Zum Frühstück. In der Q-Bar.

Eine ziemlich unpräzise Verabredung.

Leider aber immer noch präziser als meine Gefühle. Anfangs hat er mir ja imponiert. Cooler Auftritt. Und so selbstsicher. Als könne ihn nichts auf der Welt wirklich beeindrucken, nichts von seinem Weg abbringen. Zu Erfolg, Geld und Macht. Und es tut schon weh, wie gut er aussieht. Karibisch gebräunte Hautfarbe, auch im Winter. Dunkel, groß, schlank und dazu die unwahrscheinlichsten wasserblauen Augen, die ich jemals gesehen habe. Sicher wäre er auch als Schauspieler oder Model erfolgreich, nicht nur als Autohändler für Nobelmarken.

Und dass er sich auf jener Party ausgerechnet für mich interessierte und dabei all die gestylten Chicas links liegen ließ. Wie hat sich mein Ego damals aufgebläht vor Stolz. Weil es so aussah, als zählten die inneren Werte eines Menschen auf dieser Welt der Künstlichkeit.

Und als er mir dann wie selbstverständlich in die Gästetoilette folgte, und mich einfach von hinten in die Arme nahm, eine Hand auf meinen Brüsten, die sich ihm entgegen reckten, die andere in meinem Höschen. Und ich war auf der Stelle feucht und bereit. Und vergaß alles um mich herum. Es gab nur noch ihn und mich.

Heute dagegen bin ich gründlich verunsichert. Weiß nicht mehr, wofür er sich damals bei mir interessierte.

Oder ob es nicht gar eine Art von Selbstbestrafung war.

Vor mir die Q-Bar. Ich gehe zu meinem Lieblingsplatz am Fenster, genau unter dem Bild von Ché Guevara. Auf dem er eine Zigarre in der Hand hält und optimistisch in eine imaginäre Zukunft blickt.

"Erst mal einen Espresso, bitte."

Das junge Mädchen im braunen T-Shirt mit dem Bild Chès auf der Brust nickt. Timo würde ihr nun bestimmt hinterher sehen. Ihren Hintern taxieren und zu versuchen zu erkennen, ob und welche Art von Slip sie trägt. Das muss er stets wissen. Bei allen attraktiven Frauen, die sich in seiner Nähe bewegen. Ist bei ihm schon wie ein automatisierter Reflex. Den ich stillschweigend ertrage und so tue, als würde ich es gar nicht registrieren.

Aus Liebe.

Oder aus Hilflosigkeit?

Das Mädchen bringt den Espresso. Ich blicke kurz auf die Frühstückskarte und bestelle mir "Arme Ritter Kubas mit Zucker und Zimt". Dann vertiefe ich mich in ein Buch.

Sie haben die Musik von Buena Vista Social Club aufgelegt, und weich umfangen mich die Anfangsrhythmen von "Chan Chan".

"Einmal arme Ritter."

Weißbrotscheiben in öl mit Eiern herausgebacken und mit Zucker und Zimt bestäubt. Habe ich auch in Argentinien oft zum Frühstück bekommen, in dem halben Jahr, in dem ich im Auftrag einer Organisation für Entwicklungshilfe dort war. Hat sich gelohnt, den Menschen dort zu helfen. Sie haben eine andere Art, ihre Dankbarkeit zu zeigen als wir. Allein schon so ein strahlendes Lächeln aus Indianeraugen. In Buenos Aires war ich zwei Monate in einer "villa miseria", einem Elendsviertel im Süden der Stadt, neben den großen Müllhalden von Quilmes. Habe geholfen Mehl, Zucker und Milch zu verteilen und am Nachmittag den Kindern – und auch einigen Erwachsenen – Lesen und Schreiben beigebracht. "Für Gottes Lohn", so habe ich es immer genannt. Als sinnlose Zeitverschwendung hat es Timo später bezeichnet.

Die armen Ritter waren die richtige Grundlage. Ich winke dem Mädchen, bestelle mir noch einen Espresso und dazu einen Rum auf Eis und ein Zigarillo, eine kleine Romeo y Julieta.

Ich zünde mir das Zigarillo an und blicke versonnen auf zu Chés Bild an der Wand mir gegenüber. Sein warmes, menschenfreundliches Lächeln empfängt mich. Und da will es mir scheinen, als ob nun auch von seiner Zigarre leiser Rauch aufstiege. Und es ist wohl eine Täuschung, dass ich zu sehen meine, wie sein Lächeln eine Spur breiter wird.

Der Rum macht mich leicht schwindelig. Noch so früh am Tag sollte man noch keinen hochprozentigen Alkohol zu sich nehmen.

Aber heute werde ich Mut brauchen.

Dann schaffe ich es vielleicht.

Timo zu sagen, dass es aus ist, dass ich lieber alleine leben möchte als mich ständig wie ein lästiges Anhängsel zu fühlen. Das man auf die Seite stellt, wenn man es nicht mehr braucht.

"Kann ich noch etwas für Sie tun?"

Das Mädchen im braunen T-Shirt mit Ché auf der Brust lächelt mich freundlich an.

Ihre Brüste würden Timo gefallen. Groß aber fest, und die Nippel zeichnen sich deutlich unter dem dünnen Stoff ab. Das liebt er. Meine Brüste sind zu klein, zu weich und zeigen etwas nach außen.

"Ja. Ich denke, ich brauche jetzt einen Mojito. Und noch eine Kleinigkeit zu essen. Etwas Scharfes."

Vielleicht Albondigas in pikanter Soße oder scharfe Chicken Wings?"

"Beides."

Zwölfuhrläuten.

Aber Timo wird sicher noch einige Zeit brauchen. Weiß der Himmel, aus welchem Bett er heute aufsteht und welchen Armen er sich entwinden muss!

"Hola, Maria. Cómo estás?"

Eine sanfte, melodische Stimme. Hat sie laut gesprochen, oder war sie nur in meinem Kopf? Chés Lächeln ist nun intensiver. Und, sieht er mich nicht an? Er war es, der gesprochen hat. Nie würde ich diese Stimme vergessen. Hundertmal habe ich mir die Originalaufnahme seiner legendären Rede vor den Vereinten Nationen angehört. In der er prophezeit hat, dass die Völker Südamerika aufstehen und sich vereinigen würden. Eine weiche, warme, manchmal fast singende Stimme. Für viele die Stimme eines Messias, der den Weg geht, der ihm vorherbestimmt ist.

Und was ist mit mir? Was ist mir vorherbestimmt?

"Albondigas, Chicken Wings und ein Mojito mit viel Minze." Na ja. Das ist wenigstens etwas. Ich nehme einen großen Schluck und proste Ché auf dem Bild zu. Das Mädchen sieht mich erstaunt und verwirrt an.

"Wissen Sie, wir sind alte Freunde. Compañeros. Salúd, comandante."

Ich hülle mich in die Wolken meines Zigarillos.

"Da zerreißen ein laut röhrender Sportwagen und dröhnende Bässe aus einer überdimensionalen Stereoanlage die nachmittägliche Ruhe.

Timo. In seinem MG Cabrio.

Für seine hässliche Tecno-Musik hat er die Lautstärke bis zum Anschlag aufgedreht. Und hält direkt vor dem Fenster, an dem ich sitze. Fußgängerzone interessiert ihn nicht. Nur der Auftritt zählt.

Lässig steigt er aus und beginnt seine "Balz und Küss" – Runde. Alle attraktiven Damen, die er zumindest flüchtig kennt, werden liebevoll beidseitig bedacht. Und dabei drückt er sie zärtlich an sich, damit er sie besser spüren kann. Einfach abstoßend. Ich blicke zu Ché hoch, der missbilligend den Kopf schüttelt.

Dann hat sich Timo langsam bis zu mir durchgeküsst, und auch ich werde nun berücksichtigt. Etwas flüchtiger als meine Vorgängerinnen, und er sieht mir auch nicht so tief in die Augen und drückt mich nicht prüfend an sich. Braucht er ja auch nicht mehr. Kennt er schon. Zur Genüge.

Er nimmt mir gegenüber Platz und bestellt sich sein Spezialgetränk, einen "Matamacho". Whisky, Campari, einen Schuss Angostura Bitter, ein wenig Eis und viele Limettenscheibchen. Haut den stärksten Macho um – nur ihn natürlich nicht.

Ich nehme eine Caipirinha. Für den Mut.

Timos Augen sind überall. Auf den Brüsten und Hintern aller anwesenden Frauen, analysieren, stellen Kontakt her und schmeicheln.

Nur bei mir sind sie nicht. Ich gehöre ihm ja schon. Denkt er. Ich seufze tief, nehme einen großen Schluck Caipirinha, schaue zu Ché hoch, der mich aufmunternd ansieht und beginne.

"Timo. So geht das nicht mehr weiter. Ich bedeute Dir nichts, und Du behandelst mich, als sei ich Luft für Dich. Und wenn ich Dir Dinge erzähle, die mir wichtig sind, hörst Du gar nicht zu."

"Entschuldige, Kleines. Was sagst Du? Ich habe Dir eben nicht zugehört."

Ché schüttelt ungläubig den Kopf.

Und da gefriert etwas in mir. Ich werde kalt und ruhig, sehe all die Ideale meines Lebens vor mir und Timos abfälliges Lächeln. Und stelle mir eine Zukunft an seiner Seite vor. Maßloses Entsetzen ergreift mich.

"Timo. Ich möchte mich von Dir trennen."

Sein im Raum schweifender Blick verlangsamt sich und legt sich dann wie ein schwerer Vorwurf auf mich.

"Man trennt sich nicht so einfach von mir. Jedenfalls nicht, wenn ich es nicht selbst so will. Das würde meinem Ruf schaden. Und auf den muss ich achten." "Timo. Das ist Dein Problem. Leb wohl." "Was bildest Du Dir überhaupt ein!" Sein Gesicht läuft hochrot an. "So kannst Du mich nicht behandeln! Nicht nach all dem, was ich für Dich getan habe! Was steckt dahinter? Sag’ schon! Ist es ein anderer Mann? Einer, der Dir mehr bietet als ich?" Er spuckt mir die Worte ins Gesicht. "Weißt Du was? Ich werde Dich in der ganzen Stadt so unmöglich machen, dass Dir nichts anderes übrig bleibt, als fortzuziehen oder Dich umzubringen."

Angst packt mich mit elektrisierenden Fingern. Dazu wäre er glatt im Stande. Ein hilfesuchender Blick hoch zu Ché.

Aus dessen Gesicht ist das feine Lächeln verschwunden. Er legt die Zigarre beiseite und wird größer. Breiter und plastischer. Sprengt den Rahmen des Bildes und steigt daraus hervor, größer als ein Mensch. Und er tritt neben Timo, packt ihn am Kragen und zieht ihn zu sich hoch.

"Kein Wort wirst Du sagen, Du kleiner Faschist. Nie wieder. Dein großes Maul werde ich für immer schließen."

Und er greift mit der Hand Timos Glas, nimmt die Limettenscheiben und stopft sie in Timos entsetzt aufgerissenen Mund. Und ich reiche ihm auch noch die Limetten aus meiner Caipirinha. Ché lächelt anerkennend und schiebt sie hinterher.

Und erhält Timo in eisernem Griff fest und wir sehen beide gebannt zu, wie er strampelt und um sich schlägt, hilflos und panisch. Und wie sein Gesicht erst rot, dann blau anläuft, das Entsetzen in seinen Augen erlischt, weil sie starr und glasig werden.

Wie eine Puppe lässt ihn Ché auf seinen Platz zurückfallen, erhebt die rechte Faust und grüßt mich damit. "Hasta la victoria, siempre!" Ich erwidere seinen Gruß.

Da wird Chés Gestalt durchsichtig und verschwindet. Und sein Bild hängt an der Wand wie vorher.

Als die Bedienung kurz darauf an unseren Tisch kommt, zeige ich auf Timo und meine lakonisch, man müsse einen Arzt holen, denn es gehe ihm augenscheinlich nicht gut.

"Vielleicht hat er den Mund zu voll genommen."